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Kürzlich war ich abends zur Geburtstagsfeier eines Lesers eingeladen. Roman kenne ich nun schon seit zehn Jahren. Seit seinem ersten Anruf in der Redaktion.

 

 

Damals warnte er am Telefon vor sich selbst: „Bitte legen Sie nicht auf, ich bin nicht betrunken!“ Roman ist spastisch gelähmt. Sein Sprachzentrum ist gestört, deshalb spricht er seltsam langsam. Er hat niemals laufen gelernt und sitzt im Rollstuhl.  Aber: Er ist gern unterwegs. Deshalb wollte er wissen, ob ein bestimmtes Theater behindertengerecht war. Wir seien doch das Feuilleton, oder?

Ja, richtig. Feuilletonisten hasteten in manche Bühne. Aber ob es da Rampen gab? Nie darauf geachtet. Ich versprach, mich zu erkundigen. Es war eine simple Frage. Aber: Es gab keine simple Antwort. Das war der Beginn einer längeren Recherche – und unserer Bekanntschaft.

Eines Tages erzählte mir Roman von einem Freund, der gegen seinen Willen und ohne Not in ein Pflegeheim sollte.
Er bat mich, ihn zu besuchen.
Ein engagierter Pfleger bat mich, darüber zu schreiben.
Ein Fernsehredakteur bat mich, den Artikel nicht vor seiner Sendung zu veröffentlichen, da sonst das Thema „verbrannt“ sei.
Ja, gern, natürlich. Wenn es der Sache diente. Und tatsächlich: Der Mann konnte schließlich in seiner Wohnung bleiben.

Später besuchte ich Roman öfter: Weißt Du noch, wie es mal in Deinem Hausflur brannte? Die Feuerwehr warnte davor, die Wohnung zu verlassen. Wir saßen in der Falle. Ich zweifelte, wie und ob sie uns evakuieren könnten.
Aber Du Roman? Bist ganz ruhig geblieben.

Oder wie wir am Bahnhof Stadtmitte standen? Roman, der Ausflüge generalstabsmäßig plant, hatte extra zuvor bei der BVG gefragt, ob der Fahrstuhl intakt sei – dann war der doch kaputt. Ich fragte an der Notrufsäule, ob es für Rollstuhlfahrer eine Alternativroute zum Olympiastadion gibt. Die Dame von der Behinderteninfo erwiderte: „Tja, wenn der Fahrstuhl kaputt ist, ist er kaputt!“ Ich spürte viel Puls und sagte energisch: „Falsche Antwort!“
Aber Du Roman? Bist ruhig geblieben.

Ruhig bleibenWie viel Unheil ist durch Nichtstun schon verhindert worden? Wir lachen, wir reden, die Nacht ist lang. Romans Rolli-Freunde kennen noch andere Abenteuer. In fast allen Geschichten  geht es um  Gleichgültigkeit – und immer darum, Ruhe zu bewahren.  Noch auf dem Nachhauseweg staune ich über den hohen Toleranzpegel der Rolli-Fahrer.

Ich denke: Locker werden? Entspannt bleiben? Ruhe bewahren? Wenn ich den Schlüssel zu diesem Geheimnis finden würde…
Dann schließt mich die Nacht in ihre Arme  und lässt mich nicht schlafen.

Ein aufregendes Leben, Roman.