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Thomas Hermanns setzt mit seinem Buch der schillerndsten aller Popmusiken endlich die Krone auf

 

Für immer discoNürnberg-Langwasser in den 70ern: Ein junger Turniertänzer wächst heran. Brav lernt er die Schrittfolgen zu Jive und Foxtrott. Doch mit "Fly, Robin, Fly" fangen die ersten Irritationen an. Die anderen Jungs um ihn herum verehren Uriah Heep und Deep Purple, doch dieser Junge - der stets Haribo vernascht, aber kein Mädchen - entdeckt: Silver Convention, Baccara, Sister Sledge, Donna Summer, Gloria Gaynor und seinen Schulfreund Sascha.
Ja, auch in der fränkischen Provinz kann die Pubertät voller Überraschungen stecken. Der Gedanke an Leroy Gomez, dem Sänger von Santa Esmeralda ("Don't Let Me Be Misunderstood"), treibt ihm alsbald sogar den Teenagerschweiß auf die Stirn. Bei Erroll Brown, dem Sänger von Hot Chocolate ("You Sexy Thing"), reagiert noch ein ganz anderer Körperteil. Thomas Hermanns erlebt sein Coming out: Er ist Disco-Fan!

Ansonsten hat er dieselben Probleme, wie alle Jugendlichen damals: Schaffe ich es rechtzeitig auf die Stopp-Taste zu drücken, bevor der Moderator in meinen Lieblingssong reinquatscht? Wen von den Eltern muss ich wie fragen, um länger ausgehen zu können? Und vor allem: Ist Amanda Lear ein Mann?

In seinem Buch "Für immer d.i.s.c.o." beschreibt Thomas Hermanns, bekannt als Chef des Quatsch Comedy Clubs, neben seiner persönlichen Mauser auch die allgemeine Entfaltung: die Ära der glamourösen Popmusik und die biederen Umstände, in die sie hineinplatzte. Es war jene Zeit, als man noch mit dem Kassettenrekorder vom Radio aufnahm. Als die Menschen ihre Wohnungen in safari-beige und sahara-braun einrichteten. Als Beate Uhse noch ein Fachgeschäft für Ehehygiene war. Als Hermanns an seinen Freund schrieb: "P.S. Ich bin nicht schwul!". Damals gab es viel Verwirrendes.

"Do the Freak" oder "Do the Hustle"? Ein langer Schlacks, aufgehübscht mit Föhnfrisur, weißer Latzhose und türkisblauem Seidenhemd, wollte endlich das Disco Inferno erleben. Doch zuvor bastelte er mit seinen Freunden Tag für Tag, Woche für Woche penibel an eigenen Charts. Ohne es zu wissen, produzierte Hermanns damit den Soundtrack seines Lebens: "If I Can't Have You", "You Make Me Feel" oder "Relight My Fire" etwa steckten ihn mit jenem Disco-Fieber an, von dem er nie wieder geheilt werden wollte. Hermanns erlebte brennende und sehnsuchtsvolle Momente und später auch Ekstase und Erfüllung. Jeder Song hat eine Geschichte.

"Saturday Night" ist hier mehr als eine Verabredung und "Fever" mehr als eine Versuchung. Hermann rettet Disco als Religion in die Gegenwart. Stilistisch gelingt es ihm, dieses erhebendes Gefühl, diese ungebremste Euphorie, diese rauschhafte Musik in seinen Erzählungen nachhallen zu lassen. Beseelt schwebt er zwischen spirituellen Himmel-voller-Geigen-Orchesterarrangements und erotischen Schwärmereien. Nein, die Diskothek ist nicht der Vorhof der Hölle, sondern die Kathedrale des Lebens. Und "Fly, Robin, Fly" ist kein Drogensong!

Viele Missverständnisse klärt das Buch in aufschlussreichen Interviews und gescheiten Infotexten auf. Warum Disco demokratisch ist? Was der Begriff mit den Nazis im besetzten Paris der 40er zu tun hat? Wie Thomas Herrmanns von sich selbst überrascht wurde? Steht alles da.

"Disco ist nicht unterzukriegen, es ist der Sound, der die Menschen einfach weiter tanzen lässt". Endlich hat mal einer die überfällige Krönungsgeschichte aufgeschrieben. Nicht als Verteidigung, sondern als gelungenes Statement. "Für immer d.i.s.c.o." ist der Schlachtruf eines entfesselten Lebensgefühls. Deshalb: Flieg, Thomas, flieg.

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Thomas Hermanns
Für immer d.i.s.c.o.
Argon Verlag, Berlin 2009,
4 CDs, 258 Minuten, 19,95 Euro