... „nett und immer freundlich“. So fangen die meisten Polizeimeldungen an. Wer sie oft genug gelesen hat, der denkt sich: „Nette und immer freundliche“ Menschen seien im Grunde tickende Zeitbomben. Hat denn niemand was gemerkt?
Achja, es wäre prima, wenn man böse Menschen gleich am Glasauge erkennen könnte. Aber so prima ist es nicht. Also, wie gut kennen wir eigentlich unsere Nachbarn?
Als „sehr schüchtern“ galt in seiner Nachbarschaft beispielsweise Monsieur Kerviel, der soeben seine Bank um fünf Milliarden Euro gebracht hat.
Und auch ein kurzer Blick ins Archiv zeigt: Da ist der „höfliche, aber zurückgezogen lebende“ Nachbar – ein IM, der seinen Bruder, seine Freunde verraten hat und seine Umgebung komplett ausspionierte.
Der „freundliche und hilfsbereite“ – ein 17-Jähriger, der einen 23-Jährigen ermordet hat.
Der „Computerfreak, der selten Besuch von Freunden hatte“ – ein Schüler, der einen Amoklauf ankündigte.
Der „liebevolle, der sich ständig um seine Söhne kümmerte, in der Kita sogar bei einem Kinderfest half“ – ein Vater, der seinen zweijährigen Sohn ins Koma geprügelt hat.
Der „unauffällige“ – ein arbeitsloser Maler, der sein Mietshaus in die Luft zu sprengen drohte.
Der „offenherzige und nette" – ein ehemaliger KZ-Aufseher in Mauthausen.
Der „zurückhaltende“ – ein 76-jähriger Bombenleger, der fünf Anschläge verübte.
Der „bescheidene“ – ein Entführer und 19-facher Bankräuber.
Und auch den Serienmörder kennen die Nachbarn nur als „nice Guy“.
Was ist da schon eine Frau Zindler, die wegen eines Maschendrahtzauns 1999 Deutschlands bekanntesten Nachbarschaftsstreit entfachte?
In unserem Haus wohnen mehr als 20 Familien. Sie kommen aus Russland, Österreich, der Schweiz, dem Irak und auch aus Deutschland. Eine Familie lebt gerade in Dubai, der Maler aus dem siebten Stock stellt seit einem halben Jahr seine Werke in New York aus. Manche lebten schon in Australien, Südafrika, Brasilien. Ich würde behaupten, unser Haus ist international.
Da müssten sich eigentlich die Probleme vervielfachen. Und was passiert?
Vergangene Woche haben wir in der Wohnung der Schweizer Familie gemeinsam auf das neue Jahr angestoßen. Jeder hat was Selbstgekochtes mitgebracht und gute Laune. Sogar die Kinder und Jugendlichen haben Spaß gehabt – was nicht unbedingt vorauszusetzen ist, wenn Erwachsene einladen. Es wurde bis weit nach Mitternacht gefeiert. Natürlich erfährt man auf diesen Partys viel mehr über seine Nachbarn als beim Guten-Tag-Sagen im Hausflur.
Inzwischen kennen wir uns alle ganz gut.
Sollte bei uns jemals eine Zeitbombe ticken – ich würde sie wahrscheinlich auch als „nett und immer freundlich“ beschreiben. Als eine Zeitbombe, die amüsant in der Unterhaltung war und prima kochen konnte.
Bahnt sich in Ihrem Haus schon was an?
Verfasst am 25.01.08, 20:08 Uhr
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Kommentare
Hier bahnt sich Kommunikation an zwischen zwei Mietparteien, die bis jetzt nicht muff noch maff für einander übrig hatten... Die fünf Jahre, die wir dieses Haus nun schon gemeinsam bewohnen, hatten wir immer das Gefühl, dass diese Familie uns aus irgendeinem Grunde nicht mag. Mit allen anderen teilten wir die kleinen und großen Sorgen des Mieteralltags. Es gab Hofpartys, gemeinsames Weihnachtsbaumschmücken der Kinder im Hof, Sommerkino im Freien, eine Sondervorstellung unserer unterm Dach lebenden Kabarettistin bei Glühwein im April (irgendwann müssen die Vorräte schließlich aufgebraucht werden...)und dergleichen Gelegenheiten mehr zum Verbrüdern oder einfach nur Näherkommen. Besagte Familie jedoch betrachtete die meisten unserer Aktivitäten aus der Ferne. Mein Mann deutete das demonstrative Nichtgrüßen als rassistisch, ich hatte auch nie ein gutes Gefühl, wenn die beiden mir begegneten.
Seit ein paar Monaten nun haben wir uns in das Abenteuer eines tierischen Mitbewohners gestürzt. Bei einem kleinen lebendigen Kater bleibt so etwas auch den anderen Mietparteien natürlich nicht verborgen. Kinder stehen plötzlich vor der Tür, um dem neuen Nachbarn Hallo zu sagen, erwachsene Männer schmelzen bei seinem Anblick dahin. Ja und dann geschah es. Ich konnte es selbst kaum glauben. Der Nachbar, mit dem ich bis dahin keine drei Sätze gewechselt hatte, blieb plötzlich im Hausflur stehen. Offensichtlich hatte er den Wunsch, uns etwas mitzuteilen. Er habe ja auch eine Katze. Ja, wie wir denn so klar kämen. Ja, und welches Futter wir denn verwenden würden. Ob wir uns mit dem Gedanken trügen, das Tier auch irgendwann frei laufen zu lassen. Da gibt’s ja schon eine Menge zu bereden, vor allem, wenn man es mit solchen Neulingen in der Materie wie uns zu tun hat. Inzwischen freue ich mich über jede Gelegenheit, mir bei einem „alten Hasen“ im Umgang mit Katzen Rat holen zu können.
Vor ein paar Tagen brachte meine Tochter ein Päckchen für eben diese Familie, das wir – wie schon oft - entgegengenommen hatten, zwei Etagen höher. Sie kam zurück mit einer wunderbaren verschließbaren Dose für Katzenfutter.
Nicht immer sind die Dinge so, wie sie auf den ersten Blick erscheinen...
Petra
Verfasst von: Petra | 26.01.08, 20:41 Uhr
Interessante Geschichte, Petra. Was ich öfters erlebt habe, ist, dass Menschen halt spiegeln, das was sie wahrnehmen. Also keinen Vorwurf, aber ich frage mich ob sich diese Nachbaren vormals vertrauten, sich überhaupt mit zu machen. Misstrauen und Selbstmisstrauen lassen sich manchmal schwer zu unterscheiden.
Verfasst von: davidly | 28.01.08, 00:35 Uhr
Ich glaube nicht an derartigen Hokus- pokus. Aus zwei Mal minus kann jeder Mathematiker ein Plus machen. also rechnerisch. Allerdings finde ich die Geschmacklosigkeiten zu erklären auch nicht schlecht.
Verfasst von: peter S. | 28.01.08, 17:55 Uhr
man kann eben in niemanden reinschauen. es ist doch wirklich merkwürdig immer wieder neue facetten seiner nachbarschaft kennenzulernen. ich versuche eigentlich nicht allzugroßen kontakt zwischen uns herzustellen, da ich schon furchtbar schreckliche erfahrungen mit nachbarn machen mußte. aus erfahrung wird man vorsichtig.
Verfasst von: angela | 31.01.08, 21:05 Uhr
lieber keine ohren als Eure.
Verfasst von: passt schon | 02.02.08, 04:10 Uhr